Während der Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung am 25. März hat sich der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Aaron Kowacs wie folgt zum Thema Vorderheide II und der Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde geäußert:
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
meine lieben Damen und Herren,
zunächst möchte ich mich bei Herrn Stadtverordnetenvorsteher Hegeler und
den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rathaus bedanken, die
diese Sondersitzung ermöglicht haben.
Ich halte es für richtig und wichtig, dieses umstrittene Thema öffentlich in der
Stadtverordnetenversammlung zu diskutieren und die Entscheidung über die
Nichtzulassungsbeschwerde durch die von den Bürgerinnen und Bürgern
gewählten Mandatsträger des Stadtparlaments treffen zu lassen.
Die Ursprünge der Planungen dieses Baugebiets liegen bekanntermaßen weit in
der Vergangenheit, weshalb ich mir erlaube einen Blick zurückzuwerfen.
Beginnen möchte ich mit der Feststellung, dass das Baugebiet „Vorderheide II“
nie ein Herzensprojekt der SPD war. Im Jahr 2011 hat meine Partei einen
Koalitionsvertrag geschlossen, der natürlich immer auch Kompromisse enthält.
Die Zustimmung zur Bebauung der Vorderheide II war einer dieser
Kompromisse.
Doch bereits damals, also im entsprechenden Koalitionsvertrag von 2011,
haben wir, gemeinsam mit der CDU, festgeschrieben, dass Voraussetzung für
die Zustimmung zu dem Entwurf des Bebauungsplans ist, dass die
naturschutzrechtliche Genehmigung erteilt wird.
Nun hat das oberste Verwaltungsgericht Hessens festgestellt, dass diese
naturschutzrechtliche Genehmigung nicht vorliegt!
Der Verwaltungsgerichtshof hat auf 123 Seiten ausgeführt, warum man den
städtischen Bebauungsplan für unwirksam hält. Zu den aufgeführten Gründen
zählt insbesondere, dass sich der Bebauungsplan in einem faktischen
Vogelschutzgebiet befinde.
Im maßgeblichen Naturraum bestehe eine besonders hohe Dichte siedelnder
Gartenrotschwanzpaare. Die Brutpaardichte sei sogar höher als in drei von fünf
Vogelschutzgebieten, die als „Top-5-Gebiete“ zum Schutz des
Gartenrotschwanzes bezeichnet werden.
Alles in allem würden alle aufgezeigten ornithologischen Kriterien für die
Unterschutzstellung des Gebiets sprechen.
Daneben wurde das Urteil auch anhand zahlreicher anderer Aspekte
begründet. So seien unter anderem der Erhalt der vorgesehenen
Ausweichhabitate nicht ausreichend gegen Veränderungen geschützt und die
Ausgleichsflächen seien wie ein „Flickenteppich“ im nördlichen Naturraum
verteilt.
Darüber hinaus würde keine Ausnahmelage von den artenschutzrechtlichen
Zugriffsverboten vorliegen, da dem Artenschutzrecht in einer Abwägung mit
dem öffentlichen Interesse an der Schaffung dieses Baugebiets der Vorrang
zukomme. Dies wird anhand von zwei Aspekten belegt:
Zum einen sei die geplante Wohndichte zu gering, d.h. die verbrauchte Fläche
wird nicht ausreichend ausgenutzt. Der VGH führt dazu aus, dass der
Bebauungsplan den gesetzlich vorgeschriebenen schonenden Umgang mit
Grund und Boden vermissen lasse.
Zum anderen wird uns durch das Gericht vorgehalten, dass in Hofheim – im
Gegensatz zu 49 anderen Städten und Gemeinden in Hessen – keine
Mietpreisbremse mehr gilt und man deshalb keinen dringenden
Wohnraumbedarf annehmen könne. Ein weiterer Beweis, dass dieser Zustand
schnellstmöglich behoben werden sollte und Hofheim wieder eine
Mietpreisbremse erhält.
Das Gericht stellt zuletzt fest, dass es keine Gründe für die Zulassung der
Revision gebe, da nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen
werde und der Entscheidung keine, über den Einzelfall hinausgehende,
Bedeutung zukomme.
Daraus folgt, dass als Rechtsmittel gegen das Urteil des VGH nur eine
Nichtzulassungsbeschwerde zur Verfügung steht.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde richtet sich gegen die Nichtzulassung der
Revision. Um zu erreichen, dass der Bebauungsplan doch noch als rechtmäßig
eingestuft wird, müsste dementsprechend zunächst die
Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg haben, sodass eine Revision überhaupt
möglich wäre. Im zweiten Schritt müsste dann auch die Revision Erfolg haben.
Mit anderen Worten: Selbst wenn die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hätte,
müsste die Stadt in der Folge zusätzlich noch Revision einlegen und vor uns
stünden weitere Jahre mit Gerichtsverhandlungen ungewissen Ausgangs.
Die Anforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde sind sehr hoch,
insbesondere deutlich höher als die Anforderungen an eine Revision, weshalb
bestimmte Darlegungsanforderungen erfüllt werden müssen.
Beruht das Urteil, wie im vorliegenden Fall, auf mehreren tragenden
Begründungen, muss gegen jede einzelne dieser Begründungen ein
Zulassungsgrund für die Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden.
Die zahlreichen tragenden Gründe des VGH führen selbst bei den städtischen
Anwälten zu der Einschätzung, dass die Erfolgsaussichten „eher negativ“ sind.
„Eher positiv“ zu bewerten wären die Erfolgsaussichten aufgrund der sehr weit
gehenden Aussagen zum faktischen Vogelschutzgebiet und zur Wirksamkeit
von CEF-Maßnahmen, die mit grundsätzlichen Risiken für die gesamte
Planungspraxis verbunden seien.
Zudem würde sehr stark auf reine Formalien der artenschutzrechtlichen
Gutachten abgestellt, es gäbe grobe fachliche Fehleinschätzungen und das
Urteil würde sich, soweit erkennbar, nur auf Bundesrecht stützen.
Aus unserer Sicht wurden, wie Kollege Philipp bereits sagte, jedoch nicht gegen
alle tragenden Urteilsbegründungen des VGH Gegenargumente dargelegt, die
die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde belegen und den
Darlegungsanforderungen der entsprechenden Norm der VwGO genügen
würden.
Die Befürworter der Vorderheide II und der Nichtzulassungsbeschwerde
werden heute insbesondere zwei Argumente anführen:
Erstens, dass die Aussagen zum faktischen Vogelschutzgebiet sehr weit gingen
und mit grundsätzlichen Risiken für die gesamte Planungspraxis verbunden
seien. Dem kann entgegengehalten werden, dass der VGH den Bereich der
Vorderheide II aufgrund der hohen Artendiversität als „Insel der Vielfalt und
des Strukturenreichtums“ ansieht und ihn deshalb aus anderen Flächen im
Ballungsgebiet Rhein-Main-Gebiet bewusst heraushebt.
Dementsprechend sollte man das Urteil, wie es der VGH selbst auch tut, als
Einzelfallentscheidung ansehen. Eine generelle Übertragbarkeit auf andere
geplante Baugebiete, zum Beispiel Römerwiesen, scheidet demnach aus.
Die Schlussfolgerung, man müsse die Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, um
sicher zu stellen, dass auf den Römerwiesen gebaut werden könne, dürfte sich
folglich als Trugschluss erweisen. Ganz im Gegenteil: Das Gericht erwähnt die
Römerwiesen ausdrücklich als alternative Baufläche.
Zweitens, dass das Urteil des VGH dafür sorgen würde, dass Ausgleichsflächen
künftig eine zusammenhängende Fläche bilden müssten und man es deshalb
anfechten müsse. Fakt ist jedoch, dass es im BNatSchG bereits gesetzlich
vorgeschrieben ist, dass die Ausgleichsflächen in einem räumlichen
Zusammenhang stehen müssen.
Der Magistrat befürwortet bekanntermaßen die Einlegung der
Nichtzulassungsbeschwerde. In der Sondersitzung des Haupt- und
Finanzschusses wurde ausgeführt, dass man durch die Einlegung der
Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere eigene Schadensersatzansprüche
sichern und sich vor fremden Schadensersatzansprüchen schützen möchte.
Durch verschiedene Anfragen an den Magistrat und Nachfragen während der
Sondersitzung des HFBA haben wir versucht, dazu weitere Informationen
einzuholen und uns ein konkretes Bild zu machen. Das Bestehen und die Höhe
dieser möglichen Schadensersatzansprüche konnten durch die Anwälte jedoch
nicht näher erläutert werden, da man auch die Gegenseite vertrete.
Durch diese Interessenskollision war es jedenfalls nicht möglich, die
vorgebrachte Bedrohung möglicher Schadensersatzforderungen näher zu
spezifizieren, weshalb nicht erwartet werden kann, dass wir die Zustimmung zu
einer Nichtzulassungsbeschwerde darauf stützen.
Seit über einem Jahrzehnt beschäftigt das mögliche Baugebiet Vorderheide II
die städtischen Gremien und auch die Gerichte. In dieser Zeit hat die Stadt
Hofheim nach den Auskünften des Magistrats mind. 1,4 Mio. € in dieses
Bauprojekt investiert. Allein die Anwalts- und Gerichtskosten belaufen sich auf
knapp 1,1 Mio. €, obwohl die Festsetzung der Gerichtskosten für das aktuelle
Verfahren sogar noch ausstehen.
Alles in allem sind wir der Auffassung, dass diese enorme Summe nicht durch
die Einlegung und die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde noch weiter
erhöht werden sollte und man stattdessen alles unternehmen sollte, das
entsprechende Gebiet durch das Land Hessen zu einem tatsächlichen
Vogelschutzgebiet erklären zu lassen und so einen großen Beitrag zur
Biodiversität zu leisten.
Wir lehnen es ab, gegen die Entscheidung des VGH Rechtsmittel einzulegen,
weshalb die Nichtzulassungsbeschwerde sofort zurückgenommen werden
sollte und auch das Mandat der beauftragten Kanzlei sofort gekündigt werden
sollte, um den städtischen Haushalt nicht weiter zu belasten.
Ich bitte um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Antrag.
Vielen Dank.